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Pro Senectute: Die Profis in der Beratung rund ums Alter

Interview mit Jürg Wild, Sozialarbeiter, Pro Senectute AR




Wir alle kennen ihren Namen und doch wissen viele von uns nicht genau, welche Dienstleistungen die Pro Senectute anbietet. Höchste Zeit also, diese kompetente und hilfreiche Organisation vorzustellen. Denn um das Älterwerden oder beispielsweise das selbständige Wohnen der älteren Eltern hat die Pro Senectute auf fast alle Fragen eine Antwort.


Jürg Wild, Sozialarbeiter von Pro Senectute Appenzell Ausserrhoden, gibt uns im Gespräch einen vertieften Einblick in das Angebot von Pro Senectute.


1. Wie würden Sie die Arbeit von Pro Senectute in wenigen Sätzen beschreiben?

Die Pro Senectute hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensqualität von älteren Menschen zu verbessern. Sie setzt sich dafür ein, deren Selbständigkeit möglichst lange zu erhalten. Unsere Angebotspalette lässt sich in 3 Bereiche gliedern: Beratung, Dienstleistungen und Kurse. Wir bieten Hilfestellung bei Alltagsfragen und organisieren im Sinne der Gemeinschaft auch Veranstaltungen wie Speed Dating, Angehörigen-Coaching bei Demenzkranken und noch ganz viel mehr. Die Arbeit der Pro Senectute fokussiert sich auf ältere Menschen, die noch zuhause leben.


2. Wann kommen Menschen zum ersten Mal in Kontakt mit Ihnen?

Wir beraten und betreuen Menschen, die mindestens 60 Jahre alt sind und in irgendeiner Beziehung zur AHV stehen und eine AHV-Rente beziehen.


Oft findet der erste Kontakt statt, wenn sich die Betroffenen in einer neuen Situation befinden, unsere Kurse besuchen wollen oder wenn sie aufgrund von schwierigen Verhältnissen, insbesondere im finanziellen Kontext, über die Spitex oder die KESB zugewiesen werden. Häufig kontaktieren uns auch ratsuchende Angehörige, die sich über unsere Arbeit informiert haben.


3. Wie wird die Pro Senectute finanziert?

Die Pro Senectute finanziert ihre Arbeit aus verschiedenen Quellen. Einen bedeutenden Teil ihrer Kosten deckt sie über Einnahmen aus Dienstleistungen und Kursen. Ein weiterer Teil der Finanzierung erfolgt über den Bund (AHV), die Kantone und die Gemeinden. Zusätzlich gibt es Erträge aus Spenden, Legaten und Anlagen.


Die Finanzierung der Beratung von Menschen, die in einem Heim leben, ist vom Bund ausdrücklich ausgeschlossen. Dies stellt uns nicht selten vor Schwierigkeiten. Denn Menschen ohne Kinder und ohne Angehörige benötigen auch im Heim Unterstützung. Zum Beispiel, wenn es um das Beantragen von Ergänzungsleistungen oder Hilflosenentschädigung geht.




"Mein Tipp: Gehen Sie einfach mal in der Cafeteria eines Altersheims einen Kaffee trinken und achten Sie auf Ihr Gefühl. Später kann dann ein Gespräch mit der Heimleitung inklusive Führung hilfreich sein."

Jürg Wild, Sozialarbeiter Pro Senectute




4. In welchen Fällen empfehlen Sie ein Gespräch mit der Pro Senectute?

Speziell empfehlenswert ist es, wenn Unsicherheiten rund um das Thema Rente bestehen. Insbesondere für geschiedene Personen – und allen voran Frauen – lohnt es sich, sich rechtzeitig Gedanken zu machen. Wir unterstützen auch beratend bei Fragen wie Rentenvorbezug, Ergänzungsleistungen, engen Budgets, Überbrückungsrenten und so weiter.


Auch für Vorsorgemassnahmen wie den Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung etc. sind wir die wichtige und richtige Anlaufstelle und bieten mit dem Dokupass eine gute Vorlage.


5. Wann ist es Zeit, über einen Heimeintritt nachzudenken?

Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten, weil ganz unterschiedliche Bedürfnisse bestehen. Idealerweise schaut man sich verschiedene Orte an. Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse und das Recht, eine passende Wohnsituation zu finden, die ihm entspricht. Und auch wenn es nicht oft passiert: Man kann auch ein Alters- oder Pflegeheim nochmals wechseln, nachdem man eingezogen ist.


Oft wollen die Seniorinnen oder Senioren am bisherigen Leben festhalten und sehen in einem Heimeintritt keine gute Lösung. Dabei erlebe ich immer wieder, dass es ihnen in der neuen Situation deutlich besser geht. Die altersgerechte Umgebung und der strukturierte Alltag können helfen, Sturzgefahren zu reduzieren, Sozialkontakte zu fördern, eine regelmässige und ausgewogene Ernährung zu gewährleisten und die korrekte Einnahme von Medikamenten sicherzustellen. Das bringt auch den Angehörigen Sicherheit und Entlastung.


Für Demenzkranke kann ein passendes Heim bedeuten, dass sie dank der Milieu Anpassung nicht dauernd überfordert sind. Permanente Negativerfahrungen stellen schliesslich für niemanden eine optimale Situation dar.


6. Was raten Sie älteren Menschen oder ihren Angehörigen in Bezug auf die Heimwahl?

Mein Tipp: Gehen Sie einfach mal in der Cafeteria eines Altersheims einen Kaffee trinken und achten Sie auf Ihr Gefühl. Später kann dann ein Gespräch mit der Heimleitung inklusive Führung hilfreich sein.


7. Wie überzeugend sind ambulante Angebote im Vergleich zu Alters- und Pflegeheimen?

Es gibt heute zum Glück sehr gute ambulante Angebote, so beispielsweise die Spitex für die Nacht. Unser System mit den Ergänzungsleistungen ermöglicht es jeder und jedem, solange wie möglich zuhause zu bleiben. Dies entspricht dem Wunsch von vielen. Dabei darf jedoch nicht ausser Acht gelassen werden, dass diese Wohnform im hohen Alter auch die Einsamkeit verstärken kann.


8. In welchen typischen Situationen benötigt jemand Unterstützung von der Pro Senectute?

Viele Anliegen betreffen finanzielle Aspekte. Für eine Heimfinanzierung analysieren wir zum Beispiel die Finanzsituation. Bei einem kleinen Budget, das für die Finanzierung nicht reicht, stellen wir mit der betroffenen Person die Beilagen für den Antrag für Ergänzungsleistungen zusammen. Es kann gut sein, dass wir dies bei unserer Klientin oder unserem Klienten zuhause erledigen, weil das Finden der nötigen Unterlagen sie überfordert.


Die Pro Senectute verfügt zudem über Mittel, die sie für das Wohl von alten Menschen in ihrem Gebiet einsetzt. So haben wir die Möglichkeit, auch beim Kauf von Hilfsmitteln wie beispielsweise einer Gehhilfe oder einem motorisierten Rollstuhl zu unterstützen. Selbstverständlich werden solche Leistungen nur dann erbracht, wenn die betroffene Person sie nicht selbst finanzieren kann.


9. Welchen Einfluss hat die steigende Lebenserwartung von älteren Menschen auf Ihre Arbeit?

Unsere Branche befindet sich definitiv in einem Wachstumsmarkt. Meine Erfahrung ist, dass viele Seniorinnen und Senioren heute qualitativ gute zusätzliche Lebensjahre erwarten dürfen, ohne grössere Einschränkungen. Der Wunsch dieser Generation ist klar, so lange als möglich im eigenen Zuhause zu leben. Aus meiner Arbeit weiss ich auch, dass das Älterwerden ein hartes Stück im menschlichen Zyklus darstellt.


10. Wo liegen Ihre grössten Herausforderungen?

Die Finanzierung unserer Leistungen ist ein dauerndes und manchmal schwieriges Thema. Persönlich sehe ich es als echte Aufgabe an, «junge Alte» zu motivieren, sich für das Gemeinwesen zu engagieren und zum Beispiel die «älteren Alten» bei administrativen Angelegenheiten oder im Alltag zu unterstützen. So anspruchsvoll das auch sein mag, birgt es auch eine grosse Chance, dieses Segment vermehrt für Freiwilligenarbeit zu gewinnen.


Eine weitere Herausforderung für uns ist, das Vertrauen von Menschen in unsere Organisation zu gewinnen. Wir leisten sehr viel vertrauliche Arbeit. Unsere Klientinnen und Klienten geben uns Einblick in sehr persönliche Informationen, wenn sie beispielsweise mit uns ihr Testament oder ihre Finanzen besprechen. Dieses Vertrauen muss unbedingt bewahrt und hochgehalten werden, damit keine Missbräuche stattfinden können.


Zudem nehmen unterdessen auch die Baby Boomer (bis Jahrgang 1964) unsere Dienstleistungen in Anspruch. Sie haben sehr hohe Erwartungen und wollen mitbestimmen. Diese Entwicklung hat auch auf unsere Arbeit einen grossen Einfluss und verlangt von uns, dass wir uns ständig anpassen. Im Gegenzug bleiben wir als Organisation agil und up-to-date.


11. Wo unterscheiden sich die Angebote von Pro Senectute und Spitex?

Bei uns im Kanton Appenzell Ausserrhoden bieten beide Organisationen Hauswirtschaftsleistungen an, so dass im Bereich der Alltagshilfen gewisse Überschneidungen bestehen. Die wichtigsten Abgrenzungsmerkmale bestehen in der Sozialberatung, die exklusiv von uns offeriert wird, und im pflegerischen Bereich, wo wir als Pro Senectute gar nicht tätig sind.


12. Ist Altersarmut ein wichtiges Thema?

Der Sozialstaat Schweiz funktioniert grundsätzlich gut. Allerdings ist Armut ein relativer Begriff. Wer über ein eingeschränktes Budget verfügt und Ergänzungsleistungen bezieht, kann beispielsweise weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Konkret erhält man in diesem Fall in unserem Kanton als Heimbewohner 268 Franken Sackgeld, das für Ausgaben wie Coiffeur, Kaffee, Haftpflicht und Bahnbillette reichen muss.


"Dank der Digitalisierung ist heute glücklicherweise auch der Kontakt mit Angehörigen auf der anderen Seite der Welt möglich, was gerade für ältere Menschen eine wertvolle Bereicherung bedeutet. Wer nicht digital unterwegs ist, ist hingegen zunehmend von vielen Angeboten ausgeschlossen."

13. Welche Rolle spielen Technologie und Digitalisierung bei der Unterstützung älterer Menschen?

Ich stelle fest, dass vor allem die Angehörigen oft eine Beratung per Mail beanspruchen und auch Menschen zwischen 65 und 75 Jahren grösstenteils bereits digitalisiert sind, so dass sie auf zahlreiche Angebote online zugreifen können. Dank der Digitalisierung ist heute glücklicherweise auch der Kontakt mit Angehörigen auf der anderen Seite der Welt möglich, was gerade für ältere Menschen eine wertvolle Bereicherung bedeutet. Wer nicht digital unterwegs ist, ist hingegen zunehmend von vielen Angeboten ausgeschlossen.


14. Wie können Seniorinnen und Senioren aktiv und gesund bleiben?

Ich empfehle jeweils, sich an die «4 L’s» zu halten: Laufen, Lesen, Lieben, Lachen. Das heisst, sicherzustellen, dass man sich genügend bewegt, seinen Geist beschäftigt, Kontakte und seinen sozialen Umgang pflegt.


15. Wie ist die Situation älterer Menschen mit Migrationshintergrund?

Für Seniorinnen und Senioren, die hier leben und kein Deutsch sprechen, ist der Zugang zu vielen Angeboten schwieriger. Oft haben sie zudem in Sparten gearbeitet, die gesundheitlich strenger sind. Mit unserem System und den verschiedenen Anforderungen sind sie weniger vertraut. Wenn sie in ihrem Heimatland zum Beispiel eine Liegenschaft besitzen, haben sie keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Oder wenn sich die Schwiegertochter ohne Pflegevertrag um die Eltern kümmert, hat dies für sie im Alter oder bei einer Scheidung ebenfalls einschneidende Konsequenzen. Umgekehrt spielt die Familiensolidarität vielleicht noch eher eine Rolle.



Vielen Dank, Jürg Wild, für das spannende Interview.



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